[Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

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SvenOdinsson

37, Männlich

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[Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von SvenOdinsson am 25.08.2013 21:29

Hallo Leute!

Ersteinmal vielen Dank für die Umsetzung dieser hervorragenden Plattformidee.

Jetzt zu meinem Anliegen:
Ich möchte gerne in die Rolle eines Cthulhu-Spielleiters einsteigen und bereite mich aktuell auf mein erstes Szenario vor. Gemeinsam mit meiner (ganz frisch gegründeten) Cthulhu-Gruppe möchte ich mich dem Szenario "Der Gaukler von Jusa" zuwenden und habe mir schon einige Spielberichte durchgelesen.


************ Spoiler-Alarm, sofern ihr Spieler/innen seid und / oder das Szenario nicht kennt, bitte ab hier nicht weiterlesen ************
(Zum Lesen den folgenden Text markieren)

"Der Gaukler von Jusa" gefällt mir deswegen als Einstiegsszenario so gut, weil es die Spielgruppe bereits suggestiv an einige Fertigkeitswürfe heranführt.
Ein Problem des Szenarios stellt jedoch meiner Ansicht nach die Aufmerksamkeit des Leierkastenspielers dar, der gleich zu Beginn alle skeptischen (Spieler)Blicke auf sich zieht. Ich habe die Befürchtung, dass sich rasch alle Verdächtigungen auf ihn (zurecht) versteifen werden.
Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, einen weiteren NSC einzufügen, der die Lage etwas uneindeutiger macht. Ich würde mich freuen, wenn ihr diese Idee hier mitdiskutieren könntet.

Als NSC habe ich mir die Wahrsagerin "Amdjeru" (altägypt. "Die Allesverschlingerin") ausgedacht. Sie hat alles, was ein Vamp der 20er Jahre ausmacht und verhält sich gegenüber ihrer Kundschaft auch so. Egal ob Frau oder Mann, sie bietet vom Kartenlegen bis Liebeszaubern alles an und verleiht ihnen stets den mythischen Flair des alten Ägyptens. Dass es sich dabei natürlich um nichts anderes als Scharlatanerei handelt, ist ihr völlig bewusst.

In ihrem kleinen Zelt finden sich neben den klassischen Utensielien zur Wahrsagerei auch diverse Tinkturen und ein großer Spiegel. Kenner des Szenarios werden hier bereits merken, wie ich diesen Charakter als falsche Fährte funktionalisieren möchte.
Die Spieler werden im Laufe des Szenarios mit Spiegel und beißenden Gerüchen als Fährten des mordenden Gauklers konfrontiert. Ich erhoffe mir, dass diese Charakteristika auch auf die "merkwürdige ägyptische Wahrsagerin" übertragen werden, die ich bewusst mit diesem orientalischen Attribut ausgestattet habe.

Nun wird diese falsche Fährte nahezu bis zum Ende aufrechterhalten werden, wobei sich durch fleißige Recherche im Mittelteil des Szenarios der Verdachtsfokus letztendlich auf den Leierkastenmann verlagern wird (Ratshaus -> Bild des Gauklers, Universitätsrecherche mit Relief und schließlich (hinzugefügtes) leeres Zelt der Wahrsagerin, die scheinbar in Panik den Jahrmarkt verlassen hat. Einzig ein verschrammter Spiegel (als hätte sie versucht, ihn zu verschlagen, aber er war wohl zu robust) und ein verstörender Brief an ihre Schwester sind noch im Zelt auffindbar)

Während der Geisterszene werden die Spieler schließlich auch mit ihr konfrontiert werden. Der Gaukler hatte auch sie geholt und bestialisch getötet. Man könnte ihr etwa den redundanten Satz "Der schwarze Pharao duldet keine Scharlatanerei" in den Mund legen.

Soviel zu diesem neuen NSC.
Jetzt noch eine kurze, weitere Frage:

Die Spielgruppe ist eine ganz neue. Wie würdet ihr die Spieler innerhalb dieses Szenarios einander vorstellen? Wenn sie sich tatsächlich auf den Bierbänken kennenlernen, fehlt mir irgendwie noch eine Motivation, warum sie gemeinsam über den Jahrmarkt schlendern.
Hat jemand von euch da vielleicht schon Erfahrungen gemacht?


So.... das wärs eigentlich - ist auch schon wieder viel zu lang geworden ^^
Ich freue mich auf eure Meinungen / Gedanken.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 28.09.2013 13:25.

PurpleTentacle
Gelöschter Benutzer

Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von PurpleTentacle am 25.08.2013 21:50

Die Idee mit der "falschen Fährte" find ich gut, auch schön ausgearbeitet.
Mach es den Spielern aber nicht zu schwer, gerade bei Anfängern kann das zu Frustration führen. Ich hab das Abenteuer ohne große anpassungen gespielt, das hat auch gut funktioniert.

Was die Charaktere angeht: Wenn ich keinen One-Shot, sondern eine länger angelegte Abenteuerreihe oder Kampange spielen will, dann sollen die Spieler ihre Beziehungen direkt bei der Charaktererstellung definieren. Sonst hat man ewig damit zu tun die Charaktere zusammenzubringen/halten, sowas nervt meistens nur.

Warum sollte eine Krankenschwester, ein Professor und ein Polizist gemeinsam auf Mythosjagd gehen? Entweder man gibt sich der Suspension of disbelief hin, oder man baut die Gruppe abgestimmt

Antworten Zuletzt bearbeitet am 25.08.2013 21:59.

SvenOdinsson

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Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von SvenOdinsson am 25.08.2013 22:26

Danke für die schnelle Antwort!

Ja, ich werde schauen, dass die gute Dame nicht zu stark die Blicke auf sich zieht.

Hinsichtlich der Beziehungskonstellation werde ich am besten einen Charaktererstellungsabend der ganzen Spielrunde vorschalten.


Den Spielbericht stelle ich euch hier dann später gerne zur Verfügung. Aber für diesen Moment bedanke ich mich schonmal für den Input.

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MeisterUmbreon
Administrator

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Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von MeisterUmbreon am 26.08.2013 05:51

SvenOdinsson, ich habe mal den "Spoilertext" in der Hintergrundfarbe angepasst damit wirklich nur diejenigen ihn lesen können die es wirklich wollen, ich hoffe das ist okay und in deinem Sinne.
Leider funktionieren im Forum [spoiler] [/spoiler] BB-Codes nicht, daher ist das momentan die einzige Möglichkeit "Spoilertext" zu nutzen.

Zu deinem Thema:
Ich finde einen "Red Hering" in dieser Art wirklich gut, aber wie Purple schon schreibt kann es eventuell für neue Spieler zu verwirrend sein wenn du es zu lange / oder zu gut durchziehst *grins*
Auf jeden Fall freue ich mich auf deinen Bericht wie es gelaufen ist und vor allem wie es deinen Spielern gefallen hat.


"You have to shatter the mirror to see the truth, else you'll only see yourself"
-Alistair Webb, Malkavian-

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PurpleTentacle
Gelöschter Benutzer

Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von PurpleTentacle am 26.08.2013 10:00

Guter Hinweis mit den Spoilern!

Über einen Bericht  würde ich mich auch freuen!

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Lars_de_Grey

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Beiträge: 103

Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von Lars_de_Grey am 27.08.2013 08:10

Bei dem Abenteuer handelt es sich um genau jenes, welches ich mit Koali als Meister gespielt habe.

Spontan würde ich auch sagen, dass es unnötig hier noch einen weiteren Twist einzuführen. Wir sind in unserer Runde auch so erst einmal über den Jahrmarkt geschlendert und sind hier und da eingekehrt. Auf der anderen Seite glaube ich, dass die Geschichte genau so offensichtlich gespielt werden sollte, wie sie angelegt ist. Wir hatten als Anfängergruppe auch so unseren Spaß bzw. unseren Horror.

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koali

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Beiträge: 3723

Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von koali am 27.08.2013 17:00

Ich denke auch, dass dieses Öffentliche und Offensichtliche einen Teil des Horrors ausmacht!

Das Böse scheut sich nicht vor Öffentlichkeit!


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Melancholica

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Beiträge: 101

Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von Melancholica am 14.09.2013 13:13

Das klingt wirklich sehr ansprechend, aber ich weiß ja nicht wie du das dann wirklich umgesetzt hättest/hast. Also wir haben gestern Abend selbst der Gaukler von Jusa gespielt, war auch unser erstes Rollenspiel überhaupt. Ich muss gestehen: Unser SL hat natürlich ordentlich mitgewirkt und auch eine Wahrsagerin eingebaut xD  - Irgendwie sind die Wahrsagerinnen sehr beliebt, wah? - Er hat Sie dann mit leicht russischem Akzent gespielt. War phänomenal. Er dachte auch dran eine Freakshow einzubauen, war aber dann doch too much.

Spoiler: 
Klar war uns am Anfang klar, dass der Leierkastenmann damit was zu tun hat, aber das war ja auch ein gutes Anfangsszenario denk ich. Achso, außerdem: Da ist doch so eine Geschichte die der Leierkastenmann den Kindern erzählt: Das hat unser SL vorgespielt - mit Papierfiguren auf Schaschlikspießen - DAS WAR SO UNGLAUBLICH!!! ^^

EVER SINCE BIRTH I'VE BEEN ATTRACTED TO THE SINISTER, ALL THE MALIGNANT, CRUEL FORCES OF THE WORLD..

"Hier kommt der Pieks!"

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SvenOdinsson

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Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von SvenOdinsson am 19.09.2013 16:20

Hallo liebe Leute!

Bitte entschuldigt, dass ich bis dato noch kein Spielbericht liefern konnte. Die Universität nahm mich in den letzten Wochen etwas stärker in Beschlag als ich es vorher erwarten konnte. Nunja, das schlimmste ist überstanden und der Moloch Bürokratie sollte in wenigen Wochen mein Abschlusszeugnis liefern. Ein Anlass hier ein kurzes Lebenszeichen von mir zu geben.

Der Spielbericht ist in Arbeit und sollte in den nächsten Tagen fertig werden. Als Germanist konnte ich es mir nicht nehmen, ihn ein wenig erzählerisch-prosaisch zu schreiben. ^^
Gerne würde ich euch auch die angefertigten Handouts via PDF-Scan zur Verfügung stellen. Vielleicht ist es ja möglich, hier eine kleine Handout-Datenbank ins Leben zu rufen.

Hier nun endlich der Spielbericht.

Spielbericht vom 07.09.2013

 

Szenario: Der Gaukler von Jusa (modifiziert)

Spieleranzahl: 4

Charaktere:

  • Heinz Zütze (Profigolfer)
  • Fritz Haber (Chemieprofessor)
  • Edgar Klumpfuß (ehm. Marinesoldat, jetzt Seemann)
  • Bodo Buddler (Totengräber)

Dauer: ca. 3 ½ Stunden

Modifikation:

  • Wahrsagerin Amdjeru
  • Ortswechsel von Tübingen nach Detmold (Andreasmesse)

Als Spoilerschutz wurde die Textfarbe verändert. Zum Lesen bitte Text markieren.

Anfangs seien diesem Spielbericht wenige Zeilen über die Gruppenkonstellation vorangestellt. Bei dieser Cthulhu-Runde handelt es sich um eine sehr neue. Allen Spielern ist das Universum und Gedankenkonzept nach H. P. Lovecraft grundlegend durch Brettspiele wie „Arkham Horror" und „Mansion of Madness" bekannt, sodass sie bereits um die Gefahr, die besonders bei einer direkten Auseinandersetzung mit Wesenheiten und Phänomenen des Mythos besteht, wissen. Es erleichterte die Regelerklärungen und die atmosphärische Einbettung ebendieser in das Spielgeschehen um Einiges.

Die Männer haben es sich zu Beginn des Szenarios auf den Bierbänken der Detmolder Andreasmesse gemütlich gemacht und tauschten sich über ihre beruflichen Werdegänge aus. Inhalte, die in einer kurzen Vorstellungsrunde vor dem eigentlichen Spielbeginn ausgetauscht wurden, konnten so noch einmal im Spiel selbst von den Spielern gefestigt und vor allem in die Rahmenhandlung eingebettet werden. Schnell ergaben sich auf diesem Wege Sympathien und Freundschaften zwischen den Ermittlern. Es entstand alsbald eine sehr angeheiterte Stimmung. Die Männer teilten sich in zwei Gruppen á zwei Personen auf und erkundeten die Angebote des Jahrmarktes. Die Interaktion zwischen Angebot und Charakter funktionierte wunderbar, wodurch die zentralen Regeln von Cthulhu geradezu spielerisch verinnerlicht wurden.

Eine der beiden Gruppen wendete sich rasch der Wahrsagerin zu, die – wie erwartet – per Definitionem eine größere Anziehungskraft auf die Spieler auszuüben schien, als es bei dem Spiegelkabinett anfangs der Fall war. Diese mythische Grundkonnotation wurde durch die ägyptischen Hieroglyphen verstärkt, die über dem Eingang des Zeltes angebracht waren und natürlich von keinem der Ermittler ad hoc übersetzt werden konnten. Fleißig notierten die Spieler die unsichere Beschreibung mit, die sich ihrem ungeübten Auge für Altphilologie zeigte. „Es könnte ja nützlich sein." – Eine Grundhaltung, die besonders für den investigativen Teil exzellent von Meisterseite aus kanalisiert werden sollte. Die Wahrsagerin innerhalb des Zeltes überraschte die Bodo und Fritz sichtlich, als sie sich als lasziver, ägyptischer Vamp präsentierte, die weder mit Selbstbewusstsein, noch ihren Reizen geizte. Prompt versuchte sie den Charakteren Liebestränke oder Zukunftsschauen zu verkaufen. Auf letzteres ließ sich Bodo Buddler ein, bekam allerdings nur sinnentleerte und allgemeine Aussagen über eine „drohende Gefahr". Es war beiden sehr schnell klar, dass es sich bei der jungen Frau offensichtlich um eine Scharlatanin zu handeln schien, doch war eine Grundskepsis hervorgerufen. Diese ließ sich nicht zuletzt wegen des „auffällig großen Spiegels mit orientalischer Verzierung" keinesfalls von Seiten der Spieler wegargumentieren. Genau dieser leichte, innere Zwist ist die Art nuancierter Ablenkung, die die Erscheinung des Gauklers etwas abschwächen sollte.

Nach der Begegnung mit der Wahrsagerin hatten die Spieler bisher nur zwei weitere Attraktionen ausprobiert, namentlich das Armdrücken und die Schießbude. Das erschien etwas unbefriedigend, sodass von Meisterseite der Entschluss getroffen wurde, die Spieler noch weiter in die Jahrmarktatmosphäre einzubetten. Aus diesem Grunde wurde der Blick von Heinz Zütze, der sich von der Gruppe separiert hatte, auf ein weinendes Mädchen gezogen, das vor einem windigen Hütchenspieler stand. Heinz erkundigte sich nach dem Befinden des kleinen Kindes und erhielt prompt die Information, dass dieses sein ganzes Taschengeld von 5 Reichsmark an den Schausteller verloren hätte. Als Person des öffentlichen Interesses fühlte er sich natürlich dazu berufen, dem kleinen Mädchen zu helfen und wollte das Geld des Kindes zurückgewinnen – und versagte zwei Mal. Von dem Schausteller verlacht und sichtlich vor dem Mädchen gedemütigt, suchte er Rat bei der übrigen Gruppe. Edgar grübelte und kam auf die Idee, dass das kleine Mädchen auf Grund ihres Alters eigentlich kein Glückspiel hätte betreiben dürfen. Mit diesem gesetzlichen Rückhalt machte sich die Gruppe auf den Weg zum Hütchenspieler und überredete ihn unter Androhung, die örtliche Gendarmerie auf sein Treiben aufmerksam zu machen, dem Mädchen 5 Reichsmark „plus Entschädigung" zurückzugeben. Er ließ sich darauf ein und die Gruppe gewann das Vertrauen des Mädchens, das die Charaktere in kindlichem Eifer noch zu dem Loseziehen und Kettenkarussell zog. Offensichtlich allein auf dem Festplatz herumlaufend, entwickelten die Spieler ein hohes Verantwortungsbewusstsein für das Kind.

Nachdem auch das Kettenkarussell für das Mädchen uninteressant geworden war, war es Zeit, das Geschehen auf den Antagonisten dieses Szenarios zu lenken. Das Kind nahm seinen „Helden" Edgar, der in letzter Instanz das Geld des Mädchens zurückgefordert hatte, bei der Hand und zog ihn - sichtlich genervt - zu dem Marionettenspiel. Die Antipathie, die sich mittlerweile gegen das Mädchen formierte, schlug ein weiteres Mal in einen Schutzreflex um, nachdem alle Kinder völlig schockiert nach der Erzählung des Gauklers zu weinen begannen. Die Stimmung war in wenigen Minuten umgeschlagen. Empfanden die Spieler das Kind zunehmend als nervtötend, kümmerten sie sich nun rührend und konnotierten diesen Charakter nunmehr mit Mitleid. Zeit, die Mutter auf die Spielfläche zu rufen, die sich tausendfach bedankte. Es wurde deutlich, dass das Mädchen ausgebüxt und nicht allein auf den Jahrmarkt geschickt worden war. Die Erleichterung schlug kurz danach in Verachtung und Unverständnis um, was sie dem Gaukler sichtlich zu spüren bekommen ließen. Dieser hüllte sich jedoch auf Fragen, wie er hieße und wo er diese Geschichte gehört habe, in verworrene Antworten. Während dieses Gesprächs fiel Bodo auf, dass der Gaukler bei genauerem Hinsehen irgendwie eine amorphe Gestalt unter seinem Trenchcoat besaß, kommunizierte diese Information jedoch nicht. Die Befragung des Gauklers verschärfte sich, konnte jedoch mit Freikarten in das Spiegelkabinett entschärft werden, die die Charaktere aus den „langen und ausgezehrten Fingern" des Gauklers erhielten.

Skeptisch nahmen die Charaktere die Freikarten an und betraten das Spiegelkabinett. Hier angekommen wurden sie mit den üblichen Verzerrungen konfrontiert, die sich nach tieferem Vordringen in das Zentrum des Zeltes weiter pervertierten. Fritz fiel die physikalische Unmöglichkeit dieser Darstellungen auf, hielt allerdings die Kontenance. Sein sachlich-professorales Herangehen an diese merkwürdigen Erscheinungen rief alsbald Spott und Hohn auf den Akademiker hervor. Der allgemeine Spaß auf Kosten von Fritz wurde jäh unterbrochen, als der Rädelsführer Edgar in einen weiteren Spiegel sah und sich als verquollene Masse erkannte, die von Mündern und Augen übersäht zu sein schien. Edgar, wie auch seine Mitstreiter waren über diese Anblicke zutiefst aufgewühlt, als jeder für sich ein abnormes Spiegelbild seiner selbst sah. Sichtlich erschüttert begaben sie sich rasch in die Mitte des Zeltes, wo sie den großen Bronzespiegel vorfanden. Fritz war in der Lage das Material als Bronze zu identifizieren, war jedoch bei jedweder weiteren geschichtlich-anthropologischen Kategorisierung überfragt. Bodo, der sich während seiner ruhigen Friedhofsstunden der Geschichte und Anthropologie zugewandt hatte, wusste Rat und konnte den Spiegel in den vorchristlichen Nahen Orient einordnen. Für die exakte Verortung nach Babylon reichten seine Kenntnisse jedoch nicht aus.

Edgar betrachtete den Spiegel genauer und erkannte das leicht verzerrte Gesicht des Gauklers, der den Zeigefinger auf seine Lippen legte und hämisch grinste. Edgar konnte die Fassung behalten, teilte seinen Begleitern jedoch nicht mit, was er gesehen hatte. Auf Verdacht schaute auch Heinz in den Spiegel, sah jedoch zu aller Verwunderung nichts, was Edgar innerlich noch weiter aufwühlte. Gerade als sich dieser dazu durchzuringen schien, seinen Begleitern von der übernatürlichen Erscheinung im Spiegel zu erzählen, brach außerhalb des Zeltes lautes Geschrei aus.

Ohne zu zögern ließ die Gruppe von dem alten Spiegel ab und eilten in Richtung Ausgang, den sie zielsicher dank der Orientierungsgabe von Edgar erreichten. Draußen angekommen präsentierte sich ihnen katastrophales Bild. Um das völlig außer Kontrolle geratene und mit Kindern vollbesetzte Kettenkarussell stand eine Unzahl von Menschen, die vor lauter Erschütterung wie paralysiert den Weg blockierten. Einzig die hilflosen Rufe des alten Betreibers drangen durch die Kinderschreie, die sich zugleich mit einem dumpfen metallenen Geräusch vermengten. Die Charaktere sahen, wie der Betreiber des Karussells versuchte, den Notfallhebel der Hydraulik mit Schlägen einer Rohrzange umzulegen. Ohne groß zu überlegen versuchten die Männer durch die Menschenmasse zu eilen, um dem Betreiber zu helfen. Einzig Edgar und Heinz konnten sich den Weg zum Karussell bahnen und begannen sogleich den Hebel umzulegen. Dies gelang anfangs auch, obgleich sie den Mechanismus nur zur Hälfte bewegen konnten. Ein weiterer Versuch schlug fehl. Plötzlich geriet das Fahrgeschäft völlig außer Kontrolle. Wenige Augenblicke später fing der Motor im Zentrum des Karussells Feuer und nötigte alle Umstehenden dazu, Abstand zu nehmen.

Im Folgenden überschlugen sich die Ereignisse. Hilflos mussten alle Umstehenden ansehen, wie sich die Rotation des Karussells beschleunigte und schließlich die einzelnen Gondeln geschossartig vom Hauptgerüst losbrachen. Die tödlichen Projektile suchten zahllose Opfer in den Reihen der Umstehenden und raubten dabei auch den jungen Insassen meist das Leben. Auch Bodo und Fritz sollten von einem derartigen Objekt bedroht werden. Augenblicke bevor die Gondel auf sie zusteuerte, erschien das kleine Mädchen in heller Auflösung vor ihnen. Ihre muttersuchenden Schreie verklungen allerdings alsbald, als sie von einer der herumfliegenden Gondeln begraben wurde. Wie paralysiert standen Bodo und Fritz vor jenem kleinen Körper, den sie noch zuvor über den Jahrmarkt begleitet hatten. Heinz und Edgar hatten sich bereits auf gemacht und versuchten die wenigen Überlebenden nach besten Wissen und Gewissen medizinisch zu versorgen. So gelang Edgar die Rettung eines kleinen Jungen, doch Heinz konnte nur noch mit ansehen, wie eine jüngere Frau ihr Leben in seinen Armen aushauchte. Es waren seit dem Unglück keine 15 Minuten vergangen, bis schließlich auch die Gendarmerie mitsamt des Roten Kreuzes auf den Platz der Andreasmesse eintraf und die Überlebenden umgehend zum Verlassen des Jahrmarktes anhielten. Versuche von Heinz, einen Gendarmen nach Informationen zu befragen, wurde von diesem harsch auf Grund der Situation abgewehrt.

Auf dem Weg zum Stadtkern ließ die Gruppe die schrecklichen Erlebnisse Revue passieren, als sie plötzlich auf einen alten, angetrunkenen Mann stießen, der offensichtlich völlig die Orientierung verloren hatte. Ohne zu zögern, boten sie ihm ihre Hilfe an. Nachdem er der Gruppe eröffnete, in der Gaststätte „Zum Cherusker" bei einer gewissen Frau Meyer seit mehreren Monaten zu wohnen, begaben sich sie unverzüglich auf den Weg. Während dieses überraschenden Zusatzspaziergangs schien der alte Mann in dunklen Erinnerungen zu schwelgen, in welchen er beständig von einer dunklen Macht berichtete, die ihn Zeit seines Lebens verfolgte. Dabei stieß er wiederholt die Wortfragmente „Zwei Schwestern, siebenfaches Leid, dreifach sei er verflucht" aus. Ein derartig mysteriöser Redeschwall ergoss sich über die vier Gefährten bis sie schließlich die besagte Gaststätte erreichten. Die Rezeption war nicht besetzt und so beschloss die Gruppe nicht weiter in das Gasthaus vorzudringen. Sie waren bereits im Herausgehen begriffen, als sie der alte Mann zurückhielt. Er habe etwas auf seinem Zimmer, etwas bedeutendes, das niemals in die falschen Hände geraten dürfte. Gespannt und skeptisch zugleich harrten die Vier aus bis sie schließlich eine schwarze Aktentasche aus dem Besitz des Mannes erhielten, der sich zugleich zurück in sein Zimmer begab und unter lautem Knacken offensichtlich mehrere Schlösser verriegelte. Die Gruppe beschloss daraufhin, den Koffer in der angrenzenden Kaffeestube des Gasthauses näher zu untersuchen. Als sie sich an einem der Tische des leeren Raumes niedergelassen hatten, trat wenige Augenblicke später eine ältere Frau auf die vier Männer zu. Sie stellte sich als Frau Meyer, die Besitzerin dieses Gasthauses, vor und erkundigte sich sichtlich irritiert nach der Herkunft der Männer. Geistesgegenwärtig stellte sich Heinz Zütze als bekannter Profigolfer vor, der hier in Detmold eine Unterkunft suche. Als Heinz von Frau Meyer näher gemustert wurde, war sie wie vom Schlag getroffen und stellte sich als glühende Anhängerin des Sportlers heraus. Tausendfach sich entschuldigend, bot sie den Herren die Zimmer zu einem „ostwestfälisch-lippischen" Sonderpreis an. Einzig der ortskundige Bodo wusste, dass Ostwestfalen niemals Sonderangebote derartig preisen würden und es sich hierbei wohl um den beschönigten Normalpreis zu handeln schien. Diese Information hielt er – aus ostwestfälischer Loyalität – natürlich für sich, besaß er doch selbst ein kleines Häuschen in Detmold und war somit diesem Angebot erhaben.

Mit der Vermietung dreier Zimmer war der Unternehmergeist der Meyerschen auch insoweit befriedigt, sodass sie die investigative Runde in dem Kaffeezimmer ihres Hauses genehmigte. Nun war es an der Zeit, sich dem merkwürdigen Koffer zuzuwenden. Die Gruppe musste schnell feststellen, dass ebendieser (der real den Spielern vorlag) mit einem Zahlenschloss mit einer dreistelligen Kombination verriegelt war. Nach kurzer Zeit des gemeinsamen Nachdenkens, kam Bodo auf die Idee, als Kombination 2-7-3 einzugeben, nachdem er sich an den repetitiven Singsang des alten Mannes erinnerte. Die Spannung stieg sichtlich, als plötzlich die Stille durch das mechanische Klicken der Riegel unterbrochen wurde. Die Tasche war geöffnet!

Die Aktentasche war mit Aufzeichnungen unterschiedlichster Art gefüllt. Als erstes stach den Männern ein verwittertes Buch in die Augen, das sich bei genauerer Betrachtung als „Realienbuch zum Gebrauch in den Volksschulen des Fürstentums Lippe" (ganz stolz: mein eigenes Exemplar von 1903 ^^) herausstellte. Als Bodo sich dem Büchlein näher widmete, fiel ihm ein Notizzettel entgegen, auf dem der alte Mann Zahlen und Worte notierte. Seiten 179, 180 und 194 waren mit Ausrufungszeichen und dem Schriftzug „Ursprung?" beschriftet. Die Seite 222 hingegen mit „Zeit à Staerke!". Als Bodo die Seiten aufschlug, fand er Kurztexte zu den Themenbereichen „Mesopotamien", „Syrien" und „Ägypten", aber auch dem „Mond" vor. Er verknüpfte diese Informationen mit jenen, die er im Zelt über den merkwürdigen Hauptspiegel im Kabinett sammeln konnte. Offensichtlich bestand hier eine Verbindung zwischen den Recherchen des alten Mannes und dem Objekt dieser Jahrmarktsattraktion!

Als weiteres Objekt stellte Heinz einen unvollständigen Zeitungsartikel der „Lippischen Landeszeitung" vom 28. November 1860 vor. Als Titelzeile ließ sich nur noch „Feuerhölle auf ...reasmesse" erkennen. Der einleitende Text verortete die beschriebenen Geschehnisse nach Detmold. Fritz wendete sich einer Schraffur, wie auch einem lateinischen Text zu, die er beide nicht übersetzen konnte. Er war allerdings in der Lage, die Darstellungen als zwei geflügelte Figuren, die auf zwei Scheiben thronten, während ein sichelförmiger Mond über ihnen stand, zu identifizieren. Edgar stellte schließlich eine Werbeschrift für eine Bilderausstellung im Detmolder Rathaus vor, in deren Rahmen mehrere Landschaftsmalereien eines örtlichen Künstlers ausgestellt seien wie auch eine mit Kreuzen markierte Karte des Deutschen Reiches, auf dessen Rückseite Jahreszahlen, Todesfälle und Todesursachen markiert waren. Ihm fiel prompt ein 10-Jahresrhtymus auf, der sich nach 60 Jahren offensichtlich in Detmold wiederholte, wo zuvor ein Märchenzelt angefüllt von Kindern ein Raub der Flammen geworden war.

Nachdem alle Informationen ausgewertet wurden und sich auf eine Gruppenteilung zwecks Recherche verständigt worden war, wurden alle Indizien zurück in den Koffer gelegt. Ehe dieser jedoch wieder verschlossen wurde, fiel Bodo ein kleiner Notizzettel auf, der aus einer unscheinbaren Seitentasche des Koffers ragte. „Emma um Geld bitten!" Die Gruppe war ratlos, wer Emma sein sollte und beschloss am nächsten Morgen Frau Meyer über den alten Mann zu befragen.

Die Nacht begab sich ereignislos und die Männer trafen sich zum gemeinsamen Frühstück in der Gaststätte „Zum Cherusker". Sie beschlossen, sich für die weiteren Nachforschungen aufzuteilen. Dabei verständigten sie sich auf die Verteilung, nach jener sie auch die Untersuchungsmaterialen am vorangegangenen Abend vorgestellt hatten.

Frau Meyer, bei der die Männer zuvor ihre Getränkewünsche aufgegeben hatten, begab sich laut wetternd und schimpfend an den Tisch und beschwerte sich offen über die schlechte Zahlungsmoral dieses „alten Nichtsnutzes", der im Zimmer 8 seit Monaten wohne und heute wohl offensichtlich wieder einmal seinen Rausch ausschlafe. Während sie den Kaffee servierte, nutzte Heinz die Gelegenheit, sie detaillierter über diesen Mann zu befragen. Neben den Empörungen konnten die Vier in Erfahrung bringen, dass er Seibel hieße und seit Monaten im Gasthof das Zimmer Nr. 8 bewohne. Seine Zahlungsmoral und Äußeres hätten in den letzten Monaten sehr gelitten, was sie auf „verschwenderische" Reisen in den nahen Orient und mehrere Reichsstädte zurückführte. Das Geld sei ihm wegen diesem „deplatzierten Luxus" ständig viel zu knapp, sodass er seine Cousine Emma beständig um welches bitten müsse, obgleich ihr Blumenladen auch nicht sonderlich viel nach dem Kriege dieser Tage einbringe. Als sie jedoch weiter auf die Familie Seibels eingehen wollte, stockte ihr plötzlich der Atem und sie begann sichtlich erschrocken den Kaffee zu servieren. Weitere Nachfragen wies sie vehement von sich und ging zurück in die Küche.

Nachdem die Männer die Diskussion um ihr weiteres Vorgehen abgeschlossen hatten, brachen sie auf, wurden jedoch auf Höhe der Rezeption von Frau Meyer angehalten. Es nähere sich das Monatsende und Seibel würde in der letzten Zeit immer aggressiver auf ihre Versuche, das Geld einzutreiben, reagieren. Als inbrünstige Anhängerin des Profigolfers Heinz Zütze richtete sie ihre Bitte, sich mit Herrn Seibel zu unterhalten, an ihn. Heinz und Frau Meyer gingen daraufhin kurzerhand die Treppe zum Zimmer Nr. 8 hoch und harrten vor der Tür aus. Versuche von Seiten Zützes durch Anklopfen eine Antwort zu erhalten schlugen fehl, sodass er irgendwann einen Blick durch das Schlüsselloch warf. Der Anblick mutete merkwürdig an, schien der Raum über und über mit einer roten Flüssigkeit beschmiert, die er in dieser Situation noch nicht als Blut interpretierte. Zur Sicherheit rief er seine Mitstreiter herbei, die auch sofort zu ihm aufschlossen. Auf erneutes Klopfen und Rufen schien Seibel nicht zu reagieren, weshalb Heinz Frau Meyer um den Generalschlüssel der Gästezimmer bat. Dieser wurde ihm beanstandungslos übergeben. Als er die Tür aufschloss und in das Zimmer trat, packte ihn der kalte Schrecken. Die rote Flüssigkeit war über und über im Zimmer verteilt und nur am großen Spiegel ausgespart worden. Reste menschlichen Gewebes lagen im Raum verteilt. Dieser Anblick raubte Heinz kurzzeitig den Verstand, sodass er zusammenbrach und instinktiv Schutz in einer embryonalen Haltung suchte. Dieser Vorgang blieb von den übrigen Männern natürlich nicht unbemerkt, weshalb Edgar und Fritz gleichsam in das Zimmer traten, dem Anblick allerdings widerstanden. Als sich Frau Meyer nach dem „Zechpreller Seibel" erkundigte, traten die beiden Männer aus dem Zimmer heraus, um die herannahende Frau zurückzuhalten. Fritz entgegnete ihr, dass Seibel spontan abgereist sei, worauf Frau Meyer einen Tobsuchtsanfall bekam und mit den Worten „OHNE MICH ZU BEZAHLEN?!" in den Raum stürmte, aus jenem sie auf Grund des Anblicks sofort rücklings wieder herausschlug und in Ohnmacht fiel. (Diese Stelle war einfach wunderschön. Ich musste sogar kurzerhand pausieren, weil sich alle nicht mit einbekamen ^^)

Fritz nutzte sogleich seine Kenntnisse der Ersten Hilfe, um der armen Frau wieder auf die Beine zu helfen. Edgar sprach gleichsam beschwichtigend auf die Dame ein und vermittelte ihr, dass etwas äußerst schlimmes mit Herrn Seibel geschehen sei, was die Anwesenheit der lokalen Gendarmerie unbedingt erfordere. Die drei übrigen Männer betraten das Zimmer und päppelten Heinz vorsichtig wieder auf. Kurz nachdem dieser jedoch wieder vollständig bei Bewusstsein war, schweifte sein Blick noch etwas verschwommen über den großen Spiegel, wo er eine Fratze erkannte, die eine Schweigegeste mit ihrem Zeigefinger auf den Mund ausführte. (Hier habe ich den Vorschlag des Regelwerkes eingesetzt, der mythosbezogene Visionen nach temporärem Wahnsinn erzählerisch schmackhaft macht) Der daraus resultierende, erschreckte Blick zum Spiegel brachte die gesamte Gruppe dazu, zum Spiegel zu sehen, der allerdings nur seine normale Reflektion des Raumes bereithielt. Edgar schaut nach diesem Ereignis jedoch Heinz eindringlich an, schien er sich doch nun sicher zu sein, dass ihm seine Sinne im Kabinett keinen Streich gespielt zu haben schienen.

Als die Gendarmerie wenige Augenblicke später im Gasthaus eintraf, wurde die Gruppe anfangs skeptisch betrachtet, geriet doch spätestens nachdem ihnen von Frau Meyer ein Alibi attestiert worden war, aus dem Blick der Fahndung. Höflich wurden die Männer gebeten, das Gebäude zu verlassen. Dieser Bitte der Beamten kamen alle vier auch umgehend nach und traten in das winterliche Detmold hinaus. Die Männer verabredeten ein Zusammentreffen im frühen Abend im Hause der Buddlers, da offensichtlich die Gaststädte „Zum Cherusker" bis auf weiteres als Übernachtungsmöglichkeit ausscheiden würde.

Bodo begab sich umgehend zu Seibels Cousine Emma, um sie über dessen biographischen Hintergrund zu befragen. Dort angekommen traf er Emma Seibel in ihrem Blumenladen an. Nachdem sich beide miteinander bekannt gemacht hatten, wurde Frau Seibel das Schicksal ihres Cousins mitgeteilt. Sichtlich erschüttert und doch die Kontenance haltend, schüttelte sie lediglich ihren Kopf und meinte, dass es früher oder später so hätte ausgehen müssen. Seine Reisen und dubioses Verhalten hätten schon seit Wochen nichts Gutes vermuten lassen. Es sei als hätte ihn seit dem Tod seiner beiden Schwestern auf der Andreasmesse vor 60 Jahren eine schwarze Wolke verfolgt, die von ihm Zeit seines Lebens nicht mehr gewichen wäre. Auf die Nachfragen Bodos, was auf der Andreasmesse passiert sei, antwortete Emma mit verschluckter Stimme, dass Seibel vor genau 60 Jahren als einziges Kind einem Brand auf der Andreasmesse entkommen sei, bei dem mehrere Kinder den Tod gefunden hatten – unter ihnen auch seine zwei Schwestern. Weiter erkundigte er sich, ob sich ihr Cousin in den letzten Wochen ungewöhnlich verhalten hätte. „Ungewöhnlich nicht", hieß es, „aber er wirkte mehr und mehr ausgezehrt und heruntergekommen. Wissen Sie... als ob er wochenlang nicht mehr in den Spiegel gesehen hätte." Dieser Aussage ließ Bodo innerlich erschaudern. War da nicht der Spiegel, der als einziges Objekt in Seibels Zimmer unversehrt vom Blut und menschlichem Überrest geblieben war? Bodo bedankte sich aufrichtig bei Emma und wünschte ihr alles Gute.

Fritz machte sich derweil auf zu dem Landesarchiv der Stadt Detmold, wusste er doch, dass dort ein langjähriger Freund nach dem Krieg und schwindenden Geldern eine Anstellung gefunden hatte, für die er als Orientalist völlig überqualifiziert war. Ein Schild vor dem verschlossenen Eingang wies ihn jedoch darauf hin, dass das Institut am heutigen Tage geschlossen sei. Glücklicherweise war die Wohnadresse der zuständigen Leitung, Herr Prof. Dr. Hauser, ebenfalls auf diesem Informationsschreiben vermerkt. So machte sich Fritz kurzerhand in die Krumme Straße 37 auf, wo er nach einmaligem Klingeln herzlich empfangen wurde. Nach einem kurzen Gespräch über Wissenschaft und Studienzeiten wurde Herrn Prof. Dr. Hauser sowohl die Schraffur als auch das lateinisch sprachige Manuskript überreicht. Letzteres konnte Herr Hauser nahezu fließend übersetzen und offenbarte Fritz somit eine kryptische Geschichte über einen König in Carcosa, einer schattenhaften Gestalt sowie zwei Gauklern, die seit ihrer Beschwörung im alten Babylon Wahnsinn und Tod mit sich brachten. Lachend winkte Hauser ab: „Wie abergläubisch doch diese alten Kulturen trotz ihrer hohen Entwicklung waren!" Fritz stimmte, um den Schein zu wahren, zögerlich in das Gelächter Hausers mit ein. Die positive Stimmung ausnutzend, überreichte Fritz zusätzlich auch die Schraffur zur weiteren Untersuchung. Hauser war in der Lage die Symbole als zwei geflügelte, wohl vergöttlichte Figuren zu erkennen, die über zwei spiegelartigen Portalen thronten, während der Mond über ihnen scheint. Die Übersetzung der „zweifelsfrei als Keilschrift zu erkennenden Zeichen" würde doch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Einen Kaffee „mit akademischer Würzung" schlug Fritz jedoch aus, erinnerte er sich nur zu gut an die Kaffee-Schuss-Mischungen des ehemaligen Studienfreundes. Er zog es anstelle dessen vor, einen kleinen Spaziergang in Detmold zu tätigen, was Hauser natürlich mit Blick auf den fürstlichen Residenzstatus der Stadt zweifelsfrei nachvollziehen konnte.

Heinz betrat derweil die Hauptstelle der Lippischen Landeszeitung und konnte sich mit Leichtigkeit auf Grund seines Ansehens als öffentliche Person der deutschen Sportwelt Zugang zu den Archiven erbitten. In den Archiven stolperte er nach einiger Zeit über einen vollständigen Artikel ebenjenes Fragments, das die Gruppe in der Aktentasche auffinden konnte. Als er den Artikel las, eröffnete sich Heinz ein grausiges Schreckensszenario, das die Andreasmesse vor 60 Jahren erschütterte. Ein Märchenzelt, in welchem 22 Kindern jedweden Alters die bekanntesten Sagen und Legenden nahegebracht werden sollten, fing plötzlich Feuer und riss fast alle in den Tod. Der Artikel berichtete weiter von einem Jungen von 8 Jahren, der die „Feuerhölle" knapp überlebte. Weitere Artikel zu diesem Thema schienen nicht verfasst worden zu sein, jedenfalls fand Heinz keine weiteren relevanten Informationen, sodass er sich auf den Rückweg machte.

Edgar hatte sich derweil auf den Weg zum Detmolder Rathaus gemacht, um sich die Ausstellung der Landschaftszeichnungen näher anzusehen. Anfangs sah er augenscheinlich keinen wirklichen Nutzen, sich diesem Programmpunkt näher zu widmen, doch als er die farbigen Gemälde entlangschritt kam sein Blick plötzlich auf einer wesentlich trauriger anmutenden Schwarzweißzeichnung zum Ruhen. Als er dieses Bild näher betrachtete, erinnerte ihn das Motiv an die jüngste Andreasmesse hier in Detmold. Ein Blick auf die Bildunterschrift verriet, dass ihn seine Sinne nicht belogen hatten. Der Landschaftsmaler hatte in der Tat das Treiben auf der Andreasmesse von vor 60 Jahren festgehalten. Spielende Kinder, die in Ringelreihen tanzten, glückliche Pärchen an den Attraktionen, diverse Detmolder, die es sich einfach gut gehen ließen – die Stimmung schien gänzlich ungetrübt. Noch ehe Edgar von dem Bild ablassen wollte, stach ihm jedoch eine Gestalt ins Auge, die ihn erschaudern ließ. War das möglich? Auf der alten Zeichnung machte er eine Person aus, die dem unheimlichen Leierkastenspieler unverwechselbar ähnelte. Erschüttert trat Edgar auf die Straße, doch ehe er zurück zum Haus der Buddlers ging, entschied er sich, dem nun vereinsamten Jahrmarkt einen Besuch abzustatten. Als er das trostlose Gelände betrat, passierte er das Kettenkarussell, das als grausiges und verwüstetes Mahnmal im Zentrum des Festplatzes stand, dessen Boden mit Furchen der aufgeschlagenen Gondeln an einigen Stellen gleich einem Acker aufgepflügt war. Edgar beschloss in das Zelt der Wahrsagerin zu gehen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Der Anblick war irritierend. Der komplette Zeltinhalt war völlig durcheinandergebracht – von der Wahrsagerin selbst keine Spuren. Im Zuge seiner Nachforschungen stieß er auf einen Brief, den die Jahrmarktsdame an ihre Schwester Katharina geschrieben hatte, die offenbar gemeinsam mit ihren beiden Eltern in Lemgo wohnte. Als Edgar ihn las, hatte er das Gefühl, ein Schuldgeständnis zu lesen. Liesel, wie der richtige Name der Wahrsagerin war, bereute offensichtlich ihr Leben als Scharlatanin, die sich durch das Spiel mit den Ängsten und Hoffnungen jener Menschen, die sich an sie richteten, ein angenehmes Leben erschlich. Doch etwas hatte sich scheinbar in den letzten Tagen verändert. Eingehend beschrieb sie ihrer Schwester alptraumhafte Nächte und ihr eigenes Spiegelbild, was sie seit jüngster Zeit nicht mehr schlafen ließe. Dieser nächtliche Terror scheint sich nochmals gesteigert zu haben, weshalb sie entschloss, zurück zu ihren Eltern und ihrer Schwester zu ziehen, denn irgendetwas lauere in den dunklen Ecken ihres Spiegels auf sie... Diese letzten Zeilen ließen Edgar zum großen Spiegel blicken, der – anders als alle anderen Gegenstände im Zelt – offensichtlich unverrückt an seinem Platz stand und doch war etwas anders an ihm. Als er näher an den Spiegel herantrat, konnte er merkwürdige Spuren auf dessen Oberfläche feststellen. Offenbar hatte jemand versucht, die Spiegelfläche zu zerstören, scheiterte jedoch an Ermangelung passenden Werkzeugs. „Jetzt reicht's!", stieß Edgar aus und marschierte geradewegs zum Spiegelkabinett. In der Mittagssonne zieht er wutentbrannt an den wenigen unerschütterlichen Schaustellern vorbei, die bereits wieder ihre ersten Gäste an ihren Buden empfingen. Als er den Eingang des Spiegelkabinetts erreichte, risse er den Vorgang zur Seite, die Hand bereits an der Luger in seiner rechten Jackentasche. Entgegen all seinen Erwartungen war das Zelt leer und erschien gleichsam wesentlich kleiner, als es die Männer während ihres letzten Besuchs empfunden hatten. Schockiert wankte Edgar zurück, machte Kehrt und begab sich stracks auf den Weg zum abgesprochenen Treffpunkt bei den Buddlers.

In der Zwischenzeit war Fritz erneut bei Herrn Prof. Dr. Hauser eingekehrt, um die Ergebnisse seiner Keilschriftübersetzung zu erfahren. Hauser war nun in der Lage, den abgepausten Gegenstand in das 1. Jahrtausend vor Christus und der Hochphase der Kultur Babylons einzuordnen. Sich in zwei großen Sesseln gegenübersitzend las Hauser, ein halbvolles Brandweinglas schwenkend, seine Übersetzung vor: „Wenn der Mond hoch steht am Himmel, wird ihre Macht offenbar und ihre Herrschaft beginnt." In dem Moment schlug die große Standuhr im Arbeitszimmer Hausers bedrohlich die dritte Stunde des Nachmittags. Als der letzte Glockenschlag verklungen war, schaute Hauser frustriert zum Fenster: „Ich habe die Wintermonate immer gehasst, es wird einfach viel zu früh dunkel." Dieser Ausspruch schien Fritz nahezu durch Mark und Bein zu gehen und forderte ihn zugleich auf, sich aus dem Sessel zu erheben. Eine Einladung auf ein weiteres Glas Brandwein ausschlagend, begab sich Fritz umgehend zurück zu der Gruppe.

Auf der Diele des Hauses „Am Kirchhof 2" hatten sich gegen 16 Uhr alle Männer eingefunden und tauschten die Ergebnisse ihrer Recherchen aus. Es stand außerfrage, dass Seibel offensichtlich der einzige Überlebende des schrecklichen Brandes, der auf der Andreasmesse vor 60 Jahren wütete, war und seither in seinem Leben etwas auf der Spur war. Dieses Etwas war augenscheinlich nach Jahren der mordenden Wanderschaft zurückgekehrt und hatte den Tod für weitere Jahrmarktsbesucher, aber auch den alten Seibel gebracht. Die Gruppe einigte sich darauf, dass zweifelsfrei der dunkle Gaukler nicht der war, für den er sich ausgegeben hatte. Er war etwas älteres, etwas Böses aus einem fernen Land und aus ferner Zeit. Edgar berichtete sachlich, dass er das Spiegelkabinett leer vorgefunden habe, die ganze Geschichte aber auch ganz natürliche Gründe haben könnte, die sich der Gruppe bis dato allerdings noch nicht erschlossen hätten. Fritz entgegnete, dass es offenbar zeitabhängig sei, wann sich die Macht des Gauklers entfaltete. Diese sei, laut den antiken Inschriften, an den Mond, bzw. die Nacht geknüpft. Obgleich Edgar immer noch nicht ganz überzeugt war und in diesem Gespräch seine Erkenntnisse, die er aus den Landschaftszeichnungen ziehen konnte, gänzlich verschwieg, ließ er sich von der Gruppe überreden, erneut das Spiegelkabinett bei dem nun schwindenden Sonnenlicht zu besuchen.

Als sie schließlich erneut den Festplatz betraten, hatten sich bereits wieder einige unerschrockene Jahrmarktslustige eingefunden, augenscheinlich meist Soldaten, die wegen des Versailler Vertrags und der damit einhergehenden Abrüstung ihre Arbeit, aber immerhin nicht ihr Leben verloren hatten. Kinder oder Frauen waren kaum anwesend, was man den Ferngebliebenen mit Blick auf die vorangegangenen Ereignisse nicht verdenken konnte. Unermüdlich schritten die vier Männer in Richtung des Spiegelkabinetts, als plötzlich ein gellender Schrei aus der Schießbude des schlecht gelaunten jungen Mannes drang. Als sie sich umdrehten, sahen sie nur noch, wie ein Mann in geschniegelter Soldatenuniform lachend das präparierte Gewehr schulterte. Der Schausteller lief panisch aus seiner Bude in Richtung der Gruppe, doch ehe er sie erreichen konnte, schoss ihnen Blut entgegen und der Mann sank leblos zu Boden. Als sie sich die Sprenkel aus dem Gesicht gewischt hatten, schauten sie einem anderen wohlgekleideten Soldaten entgegen, dessen Brust zwar behangen war mit Tapferkeitsorden, sich allerdings mit dem linken Arm auf eine Krücke stütze, die sein eines Bein ersetzte. Diese Einschränkung schien ihn jedoch nicht daran gehindert zu haben, den davonrennenden Mann mit seiner Pistole niederzustrecken. „Diesem Jahrmarktsvolk kann man nicht vertrauen. Fahrende Gesellen bringen immer Unheil und Verderben! Aber nicht in unser Detmold!" Mit diesem Ausruf gab er den Männern hinter ihm ein Zeichen, worauf sie ihre Waffen auf die übrigen zurückgekehrten Schausteller richteten. Panik brach aus und allerlei Volk drängte sich vom Platz der Andreasmesse. Mit gezielten Schüssen brachte die scheinbar wohl aufeinander abgestimmte Truppe Schausteller für Schausteller zu Fall und ließ die übrigen Bürger passieren. In dieser ausweglosen Situation mischten sich auch die vier Freunde unter die Gruppe der Flüchtenden, war ihnen doch klar, dass sie es hier mit einer bewaffneten, wohlgeübten Übermacht zu tun hatten. Als sie auf die „Lange Straße" vor dem Festplatz rannten, sahen sie schon, wie sich die örtliche Gendarmarie für einen Gegenschlag formierte. Keinesfalls wollten sie in diesen Kugelhagel geraten und flohen schnellen Schrittes zu den Buddlers.

Dort angekommen diskutierten sie abermals auf der Diele über ihre noch ausstehenden Optionen. „Zündet das ganze Zelt an!", schrie Heinz. „Ob sich nun darin etwas befindet oder nicht!" Edgar rief abermals zur Vernunft. Man sollte sich nicht in unnötige Gefahr begeben, erstrecht nicht, wenn dort noch wer weiß wie lange ein Kampf zwischen der Polizei und diesem merkwürdigen paramilitärischen Bund tobte. Felix meldete sich kurzerhand zu Wort und schlug vor, diese Zelle von enttäuschten Militaristen aufzusuchen, um sie zu ermutigen, das Zelt niederzubrennen und somit das Werk, das ihre Kameraden begonnen haben, zu beenden. (Eine wirklich sehr interessante Idee, die ich gerne ausgespielt hätte. Einen funktionalisierten Mob hatte ich vorher überhaupt nicht bedacht. Leider kam es nicht dazu.) Die übrigen drei schauten Fritz um dessen augenscheinlich skrupellosen Vorschlags wegen entrüstet an. Dies sei zwar der leichteste, aber nicht der moralische Weg, bemerkte Edgar, den es immer noch antrieb, die Geheimnisse auf einen ganz natürlichen Grund zurückzuführen. Die Männer entschieden sich dazu, in der Frühe des nächsten Morgens aufzubrechen, um dem Spuk im Spiegelkabinett – sei er nun weltlicher oder tatsächlich paranormaler Natur, wie Edgar anfügte – endgültig den Gar aus zu machen. Bis dahin jedoch sollte jeder etwas ruhen. (Ganz ausgezeichnet!)

Wenige Augenblicke nach dem Abschlussgespräch zog sich Bodo in sein Schlafzimmer zurück, während es sich die drei Übrigen in der Wohnstube gemütlich machten. Bald schon war Ruhe im Hause Buddler eingekehrt und Fritz, Edgar wie auch Heinz schliefen auf ihren provisorischen Schlafstätten beim ruhigen Knacken des Feuerholzes, das allmählich von den Flammen verzehrt wurde. Es war eine ruhige Nacht, eine Nacht, in der sich die Männer für ihr Vorhaben erholen sollten – doch sie hatten sich in etwas eingemischt, was andere, dunklere Pläne hatte. Punkt ein Uhr fing das noch gesunde Feuer plötzlich an zu flackern, als kämpfte es um die letzten brennbaren Ressourcen und damit seinem Leben. Trotz eines großen Holzscheites wurde die Flamme immer kleiner, als nährte sich die zunehmende Dunkelheit an ihr. Schließlich erstarb sie vollends. Edgar, Heinz und Fritz lagen nun in absoluter Finsternis, in der nicht einmal die wenigen Straßenlaternen und Sterne Licht hineintragen konnten. Nach fünf Minuten der tiefsten Schwärze schien plötzlich das Licht des Vollmondes ins Zimmer und brach sich auf unnatürliche Weise, die jeder prismatischen Erfahrung zu trotzen schien. Der kalte, blasse Schimmer bahnte sich förmlich seinen Weg durch die Dunkelheit bis er schließlich auf dem großen Spiegel zur Ruhe kam. Einige Sekunden später schien eine immaterielle, wabernde Masse hinter der schwarzen Reflexionsfläche zu erscheinen, aus der sich langsam eine schemenhafte Hand herausbildete. Ein langer, dürrer Zeigefinger klopfte zaghaft mit ungepflegtem und doch spitzem Nagel gegen die innere Spiegelfläche. Die Männer schliefen weiter. Es klopfte abermals, doch verließ die Fingerspitze dieses Mal nicht die glatte Innenseite. Der Nagel kratzte gen unteres Spiegelende und erzeugte einen markerschütternden Laut. Einzig Edgars Sinne erlaubtem ihn zu erwachen und er suchte, noch vollends schlaftrunken, nach dem Ursprung dieses nervenzerreißenden Lautes. Er zuckte völlig entgeistert zusammen, als er den lichtgetränkten Spiegel am anderen Ende des Raumes sah. Vor seinen Augen erschien in dem nebeligen Dunst im Inneren des Spiegels jenes Gesicht, das er bereits im Kabinett gesehen hatte. Es war gestern keine Einbildung! Genauso wenig wie es jetzt eine Einbildung ist. Furcht ergriff Edgar und er sprang entsetzt auf. Das knarren des Eichenfußbodens ließ nun auch die beiden anderen aus ihrem Schlaf aufschrecken – gerade noch rechtzeitig um mit anzusehen, wie sich das Glas unter dem Fingerdruck des Gauklers zu kräuseln begann und schließlich die Fingerspitze durch die Spiegeloberfläche glitt. Entsetzt starrten alle drei auf ebenjene Person, die sie zweifelsfrei als den Leierkastenspieler vom gestrigen Tage identifizieren konnten. Er war es nun, der sich unter Kräften seinen Weg durch diese widernatürliche Membran arbeitete. Als er schließlich seinen Kopf in das Wohnzimmer streckte, begann er mit krächzender Stimme zu lachen und um kurz darauf zu singen: „Wir sind... wir sind... wir sind... die Gaukler von Jusa!"

Edgar stürzt auf seine Pistole zu und zielt auf die Stirn dieser gottlosen Wesenheit. Ein Schuss ertönt und die Kugel gleitet in den Kopf des Gauklers. Leblos sank er auf die Oberfläche der massiven Kommode nieder. Ein abstruses Bild präsentierte sich nun den drei Freuden. Als, vom Schusslärm aufgeweckt, nun auch Bodo in das Zimmer stürmte, sah er den toten Gaukler, wie er ab der Hüfte aus der Spiegeloberfläche hing. Heinz näherte sich der Gestalt vorsichtig und langsam. Meter für Meter, dann Zentimeter für Zentimeter bis er schließlich in einem halben Meter Abstand vor ihm kniete und dessen Ableben sicherstellen wollte. Plötzlich richtete sich der Gaukler unter monströsem Gelächter auf: „Wie amüsant, meine Herren. Haben wir nicht alle wunderbar gelacht? Doch nun muss ich zu meinem Bedauern diesen Schwank beenden und ihre Herzen verzehren!" Mit diesen Worten geiferte er mit seinen klauenartigen Händen nach Heinz, der in letzter Sekunde ausweichen konnte. „Wir sind... wir sind... wir sind... die Gaukler von Jusa!" Bodo ergriff geistesgegenwärtig den Schürhaken des Kamins, rannte nach vorn und führte knapp über den Kopf des entgeisterten Profigolfers einen Streich gegen den Spiegel aus. Als dieser zersprang, stieß der dämonische Spielmann einen Schrei aus, dessen Art keiner phonetischen Struktur entsprach, die auf Erden anzutreffen wäre, und wurde zurück ins Dunkel hinter dem Spiegelrahmen gezogen, wo er sich jüngst aus der wabernden Masse herausgebildet hatte.

Nach diesem Ereignis hatte auch Edgar schließlich jedweden Zweifel, dass es sich hierbei um natürliche Vorgänge handle, von sich gestoßen. Eilig durchzogen sie das gesamte Haus der Buddlers und verhingen die übrigen Spiegel. Mit kalter Entschlossenheit bereiteten sie sich darauf vor, dem Gaukler ein letztes Mal auf der Andreasmesse entgegenzutreten – doch keinesfalls unbewaffnet.

Eine beunruhigende Stille schlug den vier Männern entgegen, als sie den Festplatz gegen zwei Uhr nachts erreichten. Das demolierte Kettenkarussell ragte immer noch wie ein abscheulich verzerrter Moloch in den schwarzen Himmel. Sie versuchten innerlich von den Geschehnissen, die sie hier erleben mussten, Abstand zu nehmen und traten schnellen Schrittes auf das Spiegelkabinett zu, als sie plötzlich von einem leisen Wimmern zum Halten bewogen wurden. Wenige Meter von der Gruppe entfernt stand die Wahrsagerin, die ihr Gesicht weinend in den Händen vergrub. Bodo fasste sich ein Herz und näherte sich der jungen Frau, beruhigend auf sie einredend. Als sie die Hände von ihrem Gesicht nahm, erschauderte Bodo. Die leeren Augenhöhlen der Wahrsagerin schienen ihn direkt anzustarren. „Der Gaukler duldet keine konkurrierende Scharlatanerie in seiner Gegenwart.", wimmerte die Frau als sie langsam ihre Arme nach Bodo ausstreckte und ihm entgegenschritt. „Er hat mich bestraft und nun ist mir so bitterlich kalt." Entsetzt wich der Totengräber zurück zur Gruppe, weniger von der äußeren Gestalt erschüttert, als vielmehr von dem Umstand, von einer wandelnden Toten angesprochen worden zu sein. In einer dichten Kolonne weitermarschierend näherten sie sich dem Spiegelkabinett als ihren Weg abermals eine bekannte Person kreuzte. Das kleine Mädchen, dessen Beine völlig entstellt und regungslos an ihrem Körper hingen, zerrte sich über den Boden auf die Männer zu: „Ich habe meine Mutti schon wieder verloren. Könnt ihr mir helfen? Es ist so kalt." Fritz konnte im letzten Moment sein rechtes Bein zurückziehen, ehe das tote Mädchen seinen Knöchel ergreifen konnte. Als sich Heinz umsah, fiel er auf die Knie und entgegnete lediglich: „Männer... wir haben ein Problem."

Die Gruppe war urplötzlich von einer Vielzahl von schemenhaften Körpern umgeben, die auf schrecklichste Weise ihr Leben verloren zu haben schienen. Dort waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannte kleine Gestalten, die Ringelreihen tanzen, mehrere enthauptete Personen, die auf Bierzeltgarnituren Bierglas nach Bierglas auf jene Stumpen ergossen, die zuvor ihre Köpf trugen, wie auch zahlreiche Torsos, die, zu Pärchen gebildet, eine Walzermelodie nachsummten. Der schauerliche Facettenreichtum dieses Karnevals der Toten kann von einem normal sterblichen Menschen schlichtweg nicht vollends beschrieben werden.

Als die Verstorbenen allmählich auf die Gruppe aufmerksam wurden, näherten sie sich nach Wärme und Zuneigung stöhnend immer weiter. Ein Entrinnen schien ausweglos, doch plötzlich tat sich eine kleine Flucht inmitten der Horden geschundener Seelen auf – eine Flucht geradewegs ins Spiegelkabinett.

Im Inneren des Zeltes fanden sie exakt die Einrichtung vor, wie sie sich ihnen auch bei ihrem ersten Besuch präsentierte. Zahlreiche Spiegel bildeten einen langen Gang, dessen Ende von der Dunkelheit förmlich verschlugen zu werden schien. Als sie die Höhe der ersten Spiegel erreichten, flackerten Kerzen auf, die zwischen den einzelnen Zerrflächen aufgestellt waren. Kaum hatte die Gruppe die ersten Spiegel passiert, hörten sie ein widernatürliches Krächzten. Mit Schrecken sahen die Männer, wie ihre unmenschlichen Zerrbilder von Gestern langsam aus den Spiegeln in diese Welt vordrangen und langsam auf sie zutraten. Allmählich in Panik verfallend, sahen sie von jedweden Waffengebrauch ab und rannten anstelle dessen weiter den schwachbeleuchteten Gang entlang – in der Hoffnung alsbald das Zentrum zu erreichen.

Es gelang ihnen mit überraschender Leichtigkeit, die langsamen und doch zielstrebigen Kreaturen allmählich hinter sich zu lassen und erreichten schließlich die Mitte des Zentrums, wo sich der dämonische Spiegel majestätisch auf einem Podest erhob. Noch bevor Edgar mit seiner Pistole auf den Spiegel anlegen konnte, sprang der Gaukler völlig ungehindert aus der Spiegelfläche und blockierte somit das Schussfeld. Als die Männer hinter sich die schmatzenden und lechzenden Geräusche der zerrbildlichen Abnormitäten hörten, zögerte Edgar nicht lange und schoss. Die Kugel drang in den Gaukler ein, stieß jedoch nicht wieder heraus. In einem verhöhnenden Singsang entgegnete der dunkle Spielmann: „Wir sind... wir sind... wir sind... die Gaukler von Jusa." Mit dem Verklingen dieses grausig schiefen Verses traten weitere Zerrbilder der vier Männer hinter dem Gaukler aus der Dunkelheit hervor. In voller Verzweiflung ob der aussichtlosen Lage stürmte Bodo mit seiner Spitzhacke in Richtung des Gauklers, der von dem Übermut des Jungen völlig überrascht war. Die Spitzhacke bohrte sich sogleich in dessen Brustkorb, worauf der Dämon unter zornigen Schmerzensschreien kurz zusammensackte. „Das ist nun überhaupt nicht amüsant. Ihr werdet dafür furchtbar bezahlen!", stieß der Spielmann aus und versuchte sich langsam wieder aufzurichten. Edgar nutzte das freie Schussfeld und drückte in der letzten Sekunde ab. Die Kugel flog um Haaresbreite an dem Kopf des Gauklers vorbei und drang in die bronzene Spiegelfläche ein. Das Gesicht des Gauklers entbehrte jede weitere Emotion und starrte fassungslos in die Gesichter der fünf Männer.

Augenblicke später stieß der Gaukler abermals einen Schrei aus, der dieses Mal jedoch wesentlich schmerzverzerrter und grausiger klang als jener zuvor. Der Spiegel barst und zersprang in unzählige Splitter, die den Körper des Gauklers durchdrangen und tiefe Wunden hinterließen. Gekrümmt zog sich dieser zusammen und zersprang ebenfalls in einen Vielzahl spitzer Scherben, die geschossartig in alle Richtungen flogen. Die Zerstörung des Gauklers schien zugleich das Ende der Zerrkreaturen zu bedeuten, zerbrachen doch auch sie mitsamt aller übrigen Spiegel im Kabinett. Die Männer zogen sich glücklicherweise nur leichte Blessuren zu und konnten sich bereits wenige Minuten sichtlich erleichtert aufrichten. Das Zelt erschien nun wieder wesentlich kleiner, ja gar etwas durchflutet vom Mondlicht, das sich nun endlich gegen die dunklen und engmaschigen Fasern der Zeltplane durchsetzen konnte.

Als die Männer aus dem Zelt hinaustraten, waren die Geister der Verstorbenen verschwunden. Edgar war, als zupfte etwas liebevoll an seinen Mantel und flüsterte zugleich: „Vielen Dank. Vielen Dank euch allen."

Auf dem Weg vom Festplatz kamen die Männer an dem Leierkasten des Gauklers vorbei, der nun völlig vereinsamt neben dem Kettenkarussell stand. Als Bodo die Maschinerie genauer untersuchte, fand er eine aus Menschenhaut gefertigte Lochkarte vor. Einige dieser Löcher markierten Städte, die bereits Seibel dokumentiert hatte, doch fand sich eine Vielzahl weiterer auf diesem Protokoll des Schreckens, das sich über ganz Europa erstreckte.

Erschüttert bemerkte Fritz: „Hieß es nicht: WIR sind die Gaukler von Jusa?" Die Männer nickten, schauten sich entsetzt an und verließen schnellen Schrittes das Jahrmarktsgelände.

Abschließend möchte ich euch gerne meine Handouts zur Verfügung stellen:

Handouts: "Der Gaukler von Jusa" (modifiziert)


Ich freue mich auf eure Kommentare!

 V

Antworten Zuletzt bearbeitet am 28.09.2013 03:01.

FrankVoigt

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Re: [Modifikation] Der Gaukler von Jusa inkl. Spielbericht

von FrankVoigt am 28.09.2013 14:09

Längster. Spoiler. EVAR!

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