von Asra3l am 12.05.2019 12:46
Schwierig. Mein Lieblingssetting ist Shadowrun, aber ich bin mir auch sehr bewusst, dass viel davon mit Nostalgie verbunden ist und Shadowrun einfach DAS Setting ist, das mich auf meinem Weg als Rollenspieler stets begleitet hat. Es war das erste System, dass ich selber gespielt habe, und bleibt das Setting für das mir eigentlich immer irgendein Abenteuer einfällt. Insofern ist diese Liebe zum Setting also vor allem eine subjektive, die auch darauf beruht, dass die Welt von Shadowrun mit der Zeit zu MEINER Welt von Shadowrun wurde.
Wer von einem Setting einen großen Metaplot erwartet, der weltveränderne Wendungen mit sich zieht, der wird wohl Shadowrun nicht besonders mögen. Klar gibt es einen Metaplot, aber ich für meinen Teil habe den Eindruck, dass er zum Teil so am Rande passiert, dass die Spielfiguren davon eigentlich nicht berührt werden. Es sei denn der Spielleiter zieht die Spielfiguren aktiv hinein. Insofern ist der Metaplot also optional und so ist es auch für Spieler nicht wirklich wichtig, sich bis ins Detail mit dem Metaplot auszukennen.
Viel spannender finde ich die Themen, die die Welt von Shadowrun bietet und mit denen man sich als Gruppe auseinander setzen kann: Rassismus, Mensch gegen Maschine, die Niemande vom Grundsatz der Gesellschaft gegen übermächtige Konzerne und soziale Ungerechtigkeit. Es geht für mich in Shadowrun nicht nur darum, irgendeinen Bösewicht aufzuhalten, sondern es ist vor allem ein Spiel, das moralische Fragen aufwirft und die Charaktere vor schwierige Entscheidungen stellt.
Dem gegenüber steht natürlich das Trope des gewissenlosen Killers, der alles und jeden ohne ein Wimpernzucken umnietet, was zwischen ihm und dem Missionsziel steht. Und geben wirs zu: Haben wir alle mal gespielt. Es hat ja auch seinen Reiz, "Die Bösen" zu spielen und grade der jugendliche Asra3l hat sich dieser "Sünde" schuldig gemacht. Aber diese Spielart der Welt verliert doch schnell ihren Reiz und wird bald trist. Zumindest ist das meine Erfahrung und deswegen bevorzuge ich Runner, die einem intakten moralischen Kompass folgen.
Ebenso wird Shadowrun gerne vorgeworfen, dass es schnell in das Muster Auftrag, Aufklärung, Ausführung, Bezahlung fällt und deswegen schnell repetitiv wird bzw. einfallslos wirkt. Auch da stimme ich bedingt zu: Natürlich ist das ein beliebter, weil innerwelt kohärenter und einfacher Weg ein Abenteuer ans Laufen zu bekommen. Genauso starten aber auch viele Oneshots in Fantasy-Settings in einer Taverne. Hier sind meiner Meinung in Kampagnen sowohl Spielleiter als auch Spieler gefragt, um diese Form aufzubrechen, beziehungsweise zu nutzen und mit Sinn zu füllen. Als Spielleiter sollte man abseits des Geldes andere Anreize für Spielercharaktere schaffen einen bestimmten Auftrag anzunehmen. Das kann Verbundenheit zum Auftraggeber sein oder persönliche Ziele, die in Verbindung mit dem Missionsziel stehen. Andernfall sollte die Gruppe einen guten Grund haben, warum sie dringend Geld brauchen. Oder man spielt mit der Summe und bietet einen einfachen, aber kaum lukrativen Auftrag oder einen wahnsinnig gefährlichen, aber auch unglaublich gut bezahlten Job.
Für Spieler geht es mMn vor allem darum als Charakter Eigeninitiative zu zeigen. Nicht nur auf den nächsten Anruf vom Schieber zu warten, sondern aktiv nach Aufträgen zu suchen oder in der "Freizeit" eigene Ziele zu verfolgen. Das bricht diesen Zykel auf oder macht ihn zumindest dynamischer.
Trotz aller dieser Schwierigkeiten bietet Shadowrun eine düstere, dystopische Zukunftswelt, gefüllt mit cutting-edge Technologie und fantastischen Magieelementen. Eine Mischung, die in dieser Form ziemlich einzigartig ist und sich so deutlich von Konkurrenten abgrenzt. In David-gegen-Goliath-esquer Manier kann es darum gehen, Sandkörner in die Getriebe der Megakonzerne zu bringen, Ideale zu verteidigen oder wenigstens die Lebenswirklichkeit der eigenen Gruppe ein kleines bisschen schöner zu machen.
Warum war diese Frage trotzdem schwierig zu beantworten? Nicht nur wegen der offensichtlichen emotionalen Komponente, die ich mit Shadowrun verbinde, sondern auch, weil mir auch andere Welten mittlerweile sehr ans Herz gewachsen sind. Zu Degenesis empfinde ich eine sehr ausgeprägte Hassliebe. Court of Swords habe ich als Fan entdeckt und mit Reich der Münzen weitergedacht. Von Arcane Codex' Kreijor würde ich gerne noch viel mehr kennenlernen. Ein anderer Gedanke ist mir allerdings beim Schreiben dieser Zeilen auch gekommen:
Viel schöner als MEINE Welt ist UNSERE Welt. Unabhängig davon, ob er auf einem bestehenden Setting aufbaut, ist der kleine Teil der Welt, den man als Gruppe bespielt, viel schöner, wenn man ihn als Gruppe (aus-)gestaltet und Leben einhaucht.